Grenzen des Wachstums

Club of Rome-Ökonom Wie retten wir die Welt, Herr Meadows?

1972 schrieb Dennis L. Meadows die bahnbrechende Studie "Die Grenzen des Wachstums". 2011 ist der Ökonom der Verzweiflung nahe. Ein Gespräch über den Euro, das Öl und die Kleingärtnerei. Jan-Christoph Wiechmann

 
  © Julian Röder/Ostkreuz

Dennis L. Meadows, 69 ... studierte am MIT in Massachusetts und publizierte 1972 im Auftrag des Club of Rome die Studie "Die Grenzen des Wachstums". Seine wichtigsten Themen sind Nachhaltigkeit, Umweltverschmutzung und Rohstoffknappheit. Meadows lebt mit seiner zweiten Frau in New Hampshire.
 

Professor Meadows, ist die Welt noch zu retten?

Wie meinen Sie das?
 

Sie haben im Bundestag gerade die nahende Apokalypse an die Wand gemalt: Klimawandel, Überbevölkerung, Schuldenkrise.

Glauben Sie mir, ich habe mich bemüht, optimistisch zu sein. Wäre ich ganz ehrlich gewesen, hätte es die Politiker völlig entmutigt.
 

Wie also retten wir die Welt?

Den Planeten müssen wir nicht retten. Das schafft der schon allein. Er wird allerdings einige Millionen Jahre brauchen, und uns Menschen wird es dann nicht mehr geben. Was die Leute viel mehr beschäftigt ist doch: Wie lange können wir unseren westlichen Lebensstil noch retten?
 

Und?

Nicht mehr lange. Nehmen Sie Deutschland. Der Lebensstandard der Deutschen ist unmittelbar abhängig vom hohen Energieverbrauch. Ihr aber seid hier viel abhängiger vom Energieimport als andere. 61 Prozent kommen aus dem Ausland. Wie wollen die Deutschen diesen Lebensstil halten, wenn Öl- und Gasreserven bald auslaufen? Das ist nicht zu machen. Das ist Fantasterei.
 

Die Deutschen sind derzeit sehr viel stärker mit der Euro-Krise beschäftigt als mit Klimawandel und Energiekrise.

Weil sie kurzfristig denken. Politiker denken normalerweise nur an die nächsten Wahlen. Im Moment denken sie sogar nur bis zum nächsten Euro-Gipfel. Die kommen mir vor wie Hühner, denen der Kopf abgeschlagen geschlagen wurde. Sie irren ziellos umher und hangeln sich von einer Lösung zur nächsten.
 

Merkel und Sarkozy glauben gerade, den Durchbruch geschafft zu haben.

Wir in Amerika nennen das "kick the can down the road". Sie schieben das Problem nur vor sich her. Sie kommen jetzt mit Lösungen, die vor 12 Monaten vielleicht gewirkt hätten, aber jetzt ist es zu spät. Es ist ein Teufelskreis. Je höher die Schulden, desto höher die Zinsen, desto höher die Risiken eines Bankrotts, desto höher wieder die Zinsen. Das geht vielleicht noch einige Wochen oder Monate gut, bestimmt keine Jahre mehr.
 

Und dann?

Entweder gehen die Deutschen zurück zur D-Mark oder sie bezahlen für lange Zeit einen sehr hohen Preis. Dagegen war die wirtschaftliche Integration Ostdeutschlands ein Kinderspiel. Wir nähern uns einem Zeitalter wirtschaftlichen Chaos. Die USA ist davon bereits erfasst.
 

Die Deutschen spüren nichts von Chaos.

Wir erleben jetzt die Vorwehen: Rezession, wachsende Armut, die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Bei uns in den USA verlieren Menschen der Mittelschicht ihre Häuser, während Banker an der Wall Street Millionen machen, indem sie Geld hin und herschieben. Die Occupy-Bewegung hat das Potential einer revolutionären Bewegung. Die Menschen sind sehr unglücklich
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Wie sind wir an diesen Punkt gekommen?

Angesichts schwindender natürlicher Ressourcen wird es immer schwerer, Profite zu machen. Eliten werden immer erst versuchen, sich den Wohlstand zuzuschanzen, statt neuen zu schaffen. Man kann die Schwierigkeit, neuen Wohlstand zu schaffen gut am Beispiel der Erdölindustrie untersuchen. In den ersten Jahren des Ölbooms betrug die Amortisation noch 1 zu 100. Kein Wunder, dass Rockefeller und andere Industrielle so reich wurden. Heute beträgt die Rate in OPEC-Staaten noch 1 zu 30, in den USA 1 zu 15. Die Profite sind viel geringer. Der Wohlstand sinkt. Da wir einen geringeren Lebensstandard aber nicht gebrauchen können, nehmen wir Schulden auf. Es ist eine Koalition aus Konsumenten, Produzenten und Staaten, die Schulden aufnehmen, um Konsum und Wachstum am Laufen zu halten. Nur haben wir in der westlichen Welt das Ende erreicht. Unsere Situation ist so, als ob wir in San Francisco stehen und das Zittern der Erde schon spüren. Wir wissen nur noch nicht, ob es schon das Jahrhundertbeben ist.
 

Nun sind Sie nicht gerade ein Euro-Experte. Sie sind vor 40 Jahren zu einer Art Guru der Umweltbewegung geworden mit ihrem Buch „Die Grenzen des Wachstums“.

Das ist richtig. Aber all die sogenannten Experten liegen doch daneben. Manchmal ist der nüchterne Blick von außen sehr hilfreich. Auch auf den Euro. Der hat viele Probleme. Er bindet völlig verschiedene Länder auf rigide Weise zusammen. Sie können ihre Währungen nicht abwerten, sie können keine adaptive Politik mehr machen, Umrechnungskurse können nicht verändert werden.
 

Sie waren doch schon immer gegen den Euro.

Am Anfang nicht. Ich fand ihn großartig, weil ich nicht mehr sämtliche Währungen mit mir herumschleppen musste. Aber schließlich wurde klar, dass das System nicht überleben würde.
 

Warum? Es hat doch funktioniert. Nicht nur die deutsche Wirtschaft hat profitiert.

Ihr versucht Finnland, Deutschland und Griechenland in ein rigides Währungssystem zu klemmen. Das ist so, als hättet ihr eine Kleidung für sämtliche Klimazonen. Wir erleben gerade das Ende des Euro, so wie wir ihn kennen. Entweder das System fliegt euch um die Ohren, oder man muss es so drastisch verändern, dass ein einzelnes Land flexibel genug ist, sich im System zu bewegen.
 

Das Argument der Politik lautet: Wir müssen als geeintes Europa gewappnet sein für den Konkurrenzkampf mit China und Amerika.

Die Menschen wollen diesen Konkurrenzkampf doch gar nicht gewinnen. Was ihr eigentlich wolltet, war doch Frieden. Und Mobilität. Und freien Handel. Das hat funktioniert. Aber soll Griechenland wie Deutschland sein? Wollt ihr das italienische politische System? Südeuropas Arbeiter werden nie so produktiv wie Deutschlands sein. Wenn du mit der Produktivität der Deutschen nicht konkurrieren kannst, kannst du eben auch nicht die Gehälter oder Renten haben.
 

Das klingt jetzt sehr nach nationalen Stereotypen.

Das war in den vergangenen Jahrhunderten schon so, warum soll sich das jetzt ändern. Es liegt an der Kultur, an Faktoren wie Geographie, Bildung, Steuermoral, Korruption, das ist das Resultat von 1000 Jahren Kulturgeschichte. Europa ist in sich unheimlich verschieden. Wir kommen jetzt in eine Zeit geringeren Wohlstands. Historisch gesehen werden Menschen dann chauvinistisch, protektionistisch. Ich sage voraus, genau das wird passieren. Die Natur des Menschen hat sich nicht verändert. Das hat man während der Weltwirtschaftskrise gesehen. Dann werden ganz schnell Handelsbarrieren aufgebaut.
 

Sie haben den deutschen Parlamentariern angekündigt, es werde in den nächsten 20 Jahren mehr Veränderungen geben als in den vergangenen 100 Jahren. Das ist schwer vorstellbar für ein Land, das vom Dritten Reich bis zur Wiedervereinigung so einiges erlebt hat.

Fragen Sie mal den deutschen Kaiser, ob er sich im Jahr 1910 hätte vorstellen können, was in den folgenden 35 Jahren kam - Weimarer Republik, Hitler, zwei Weltkriege - das hätte er auch nicht geglaubt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Meadows die deutsche Energiewende beurteilt, warum die Demokratie in Gefahr ist - und er persönlich den Hurrikan Irene überstanden hat.

Seit 60 Jahren leben wir im Westen in relativer Stabilität. Da ist eine Revolution schwer vorstellbar.

Richtig. Aber auf Kosten der Umwelt. Nehmen Sie nur Öl als Beispiel. In meiner Lebenszeit - ich bin Jahrgang 1942 - verbrauchen wir 85 Prozent des gesamten Erdöls, das in der Geschichte der Menschheit genutzt wurde. Ihr Deutschen kriegt das meiste Öl und Gas aus Russland. Wenn die Russen das irgendwann selber brauchen, habt ihr hier die große Krise.
 

Das haben Sie schon vor 40 Jahren gesagt. Neue Technologien aber beginnen Öl zu ersetzen.

Das ist ein Mythos. Es ist völlig undenkbar, dass Solar- und Windenergie Öl ersetzen werden. Öl macht die große Mehrheit unseres Transportsystems aus. Sonnenenergie kann das nicht ersetzen. Die Energy Watch Group hat berechnet, dass im Jahr 2030 die globale Erdölproduktion nur noch 50 Prozent der heutigen Produktion beträgt.
 

Deutschland verzichtet sogar auf Kernenergie.

Das habt ihr nur angekündigt. Wenn ihr in wirtschaftliche Nöte kommt, wird es ein Umdenken geben, und ihr werdet ökologische Ziele wieder aus den Augen verlieren. Klimaziele und all das, was teuer erscheint, werden aufgegeben.
 

Wenn der Mensch mit dem Rücken zur Wand stand, kam er immer mit neuen Erfindungen: Elektroautos. Windkraft. Energiesparsysteme.

Die helfen - eliminiert aber wird das Problem nicht. Die Energiekrise wird kommen. Auch die Klimakrise wird kommen. Es ist zu spät, den Klimawandel zu verhindern. Selbst wenn wir die CO2 Produktion sofort auf null reduzieren, wird sich das Klima über die nächsten 200 Jahre dramatisch verändern. Aber für Politiker ist das zu weit weg. Sie reagieren ja schon auf die Energiekrise nicht.
 

Momentan gibt es ja auch noch keine Krise.

Sie wird sehr plötzlich kommen, es wird zu Engpässen und Ausfällen kommen, da müssen Politiker reagieren. Als Russland Ernteausfälle hatte, hat es einfach den Weizenexport gestoppt. Eines Tages wachen die Deutschen auf und stellen fest, dass China im Besitz seltener Rohstoffe ist und sie Deutschland nicht mehr so billig gibt. Weil wir also nur kurzfristig denken, nähern wir uns einer Zeit extremer Krisen mit vielen physischen Folgen wie Klimawandel und Ölknappheit. Wenn du auf die Krisen nicht vorbereitet bist, folgt Chaos. Da Menschen die Ordnung der Freiheit vorziehen, führt das zu mehr Autoritarismus.
 

Sie sagten den Bundestagsabgeordneten etwas, das denen die Angst ins Gesicht trieb: "Wenn Sie nicht realistisch sind, wird die Demokratie verschwinden."

Es überrascht mich, dass ich sie angesichts ihrer jüngeren Geschichte davon überzeugen muss. Selbst in den USA ist das möglich. Plötzlich dürfen wir US-Staatsbürger im Jemen töten. Das Gesetz sagt zwar etwas anderes, aber wir bestimmen einfach: Das Gesetz gilt nicht. Wenn Menschen zwischen Ordnung und Freiheit wählen müssen, entscheiden sie sich immer für Ordnung. Das ist kulturübergreifend so, in Deutschland, Russland, Amerika. Das haben sie nach dem 11. September gesehen, als wir viele Freiheiten aufgaben.
 

Was also kann man tun, um den Kollaps zu verhindern?

Seien Sie vorsichtig mit dem Begriff Kollaps. Beim Kollaps denkt man, alles stürzt plötzlich in sich zusammen. Nach meinen Berechnungen haben wir im Jahr 2100 immer noch mehr Menschen auf der Erde und mehr Nahrung, aber wir haben dann Wendepunkte erreicht.
 

Welche?

Bei der maximalen Erdölfördermenge - Peak Oil - haben wir den Wendepunkt wahrscheinlich bereits 2006 erreicht. Bei der Nahrungsmittelproduktion pro Kopf haben wir den Höhepunkt schon in den 90er Jahren überschritten. Beim Wasser noch nicht, aber es wird bald soweit sein. Schon jetzt haben wir viele Wasserreservoirs geplündert.
 

Wie sieht es bei anderen Rohstoffen aus – Kupfer, Eisenerz, Lithium?

Noch nicht, aber für mich ist es egal, ob es in zwei oder zwanzig Jahren so weit ist. Was die Menschen verstehen müssen, ist dass wir in unserem Wachstumswahn die natürlichen Rohstoffe nicht unendlich ausbeuten können. Ich benutze als Analogie zur Erde gern das Beispiel eines Kindes. Du freust dich 18 Jahre lang, dass es wächst, aber irgendwann erwartest du, dass das Kind nicht mehr wächst, sondern sich anderweitig entwickelt.
 

Wie sollte es sich entwickeln?

Vielleicht glücklich werden? Wachstum macht nicht auf Dauer glücklich. Fragen Sie mal ihre Landsleute, ob das Wirtschaftswachstum sie glücklich macht. Wir brauchen andere Indikatoren, um eine Gesellschaft zu bewerten. Die Kanadier entwickeln gerade den Canadian Welfare Indicator. Der setzt sich aus 64 Indikatoren zusammen. Darunter: Gesundheit, Bildung, Sicherheit, das Erlernen eines Instruments.
 

Wir sollten das Bruttosozialprodukt durch Musizieren ersetzen?

Nicht ersetzen. Erweitern. Wir können nicht alles mit Bruttoinlands-Statistiken messen. Wir brauchen mehr Indikatoren. Nehmen Sie als Beispiel neue Fahrzeuge wie den Prius. Wenn die einzige Anzeige der Geschwindigkeitsmesser wäre, würden die Menschen das treibstoffsparende Potential gar nicht wahrnehmen. Man braucht also andere Anzeigen wie etwa den momentanen Spritverbrauch.
 

Damit verhindern wir auch nicht die von ihnen angekündigte Katastrophe.

Sie wollen immer Lösungen.
 

Natürlich.

Hören Sie auf damit. Eine Lösung würde bedeuten, die Probleme zu eliminieren. Das werden wir nicht schaffen. Sie können nur die Widerstandskraft verbessern.
 

Machen Sie das ganz persönlich?

Ja. Abstrakt gesehen kann man seine Widerstandskraft dreifach verbessern: In dem man die Pufferung verbessert, Überfluss vermeidet und Effizienz steigert. In meinem Haus habe ich alle drei berücksichtigt. Ich baue zudem gerade soziale Netzwerke. In unserer Gesellschaft haben wir zwischenmenschliche Beziehungen ausgelagert. Früher hast du dich um deine Eltern gekümmert, heute steckst du sie ins Altersheim. Früher hattest du einen Gemüsegarten, heute kaufst du alles.
 

Der Garten als Antwort auf die große Krise?

Ich fange im Kleinen an. Ich habe einen Community Garden gegründet. Da kommen 60 Kleingärtner zusammen. Wir treffen uns, wir helfen uns, wir sind im Notfall füreinander da. Ich habe alle Dinge aufgelistet, wie mein Leben im Fall einer Katastrophe beeinträchtigt wäre. Wenn also Internet, Wasserversorgung, das Bankensystem zusammenbrechen - wie bin ich dann gerüstet? Das sollte sich jeder fragen.
 

Und wie sind Sie gerüstet?

Ich diversifiziere meine Geldanlagen. Ich baue Überfluss ab. Brauche ich wirklich eine 11.000 Dollar Uhr wie mein deutscher Freund? Nein. Ich trage meine 20 Dollar-Uhr seit 10 Jahren. Ich habe mein Haus drastisch umgebaut, um 40 Prozent Energiekosten zu sparen.
 

Ihr Leben in New Hampshire als Modell für die Welt?

Neulich zog Hurrikan Irene direkt über mein Haus. Ich habe es schadlos überstanden. Ich habe jetzt meinen 100 Gallonen Propangas-Tank mit einem 500 Gallonen-Tank ersetzt. So überstehe ich fünf Wochen ohne Hilfe.

Und dann?

Na ja, es ist alles relativ. In der sechsten Woche nützt mir das auch nichts mehr.